Wenn die Engel singen

©Roswitha Wegmann

In mich hineinhorchend blieb ich einen Moment im Gras liegen, nahm hoch über mir im Wind silbern flirrende Birkenblätter wahr. Im milchigen Blau des Frühlingshimmels hing blass ein Stück Mond unter ein paar flauschigen Schäfchenwolken und ihm gegenüber rutschte die Sonne knallrot hinter die Hügel, leckte mit ihren langen, goldenen Strahlen das restliche Blau des verblassenden Tages weg. Mit einer Unmutsgebärde wischte ich eine Ameise von meiner Stirn, sprang auf und brachte meine Kleider in Ordnung. Zwischen den hohen Stämmen von Blätter- und Nadelbäumen entschwand Karin meinem Blick.
Die Kerzen der Rosskastanie standen in voller Blüte.
Wie meine Liebe zu Karin.
Nein, wenn ich ehrlich zu mir selber war, war es reine sexuelle Begierde, die mich seit einem Jahr an diese Frau fesselte. Das wurde mir jedes Mal bewusst, wenn der Trieb befriedigt war und ich mich eigenartig leer fühlte. Karin, die beste Freundin meiner Frau, schmeichelte meinem Ego. Sie bewunderte mein volles Haar, meinen geschmeidigen Körper und die jederzeit abrufbare Potenz. Setzte ich nur der Eitelkeit wegen meine seit zwölf Jahren glückliche Ehe aufs Spiel? Sah ich Karin mit ihrer dunklen, langen Mähne, den feurigen Augen, dem sinnlichen Mund und der Figur mit weichen Kurven, war es um meinen Verstand geschehen. Der Körper meiner Frau Iris war zart, sie trug ihre blonden Haare kurz, und die blauen Augen strahlten Wärme aus. In ihren Armen fühlte ich mich geborgen und erfüllt von Zärtlichkeit.

Als hervorragende und unglaublich kreative Floristin hatte Iris eine treue Kundschaft gewonnen und leitete ihr Reich in unserer Gärtnerei mit Hingabe. Unsere Beziehung litt ein wenig unter dem Geschäftserfolg und so war es für Karin ein Leichtes, mich in ihren Bann zu ziehen. Wir arbeiteten tagtäglich miteinander auf dem Feld. Sie war eine gute Landschaftsgärtnerin.
Ich, der eingebildete Gockel, sass in der Zwickmühle.
Hätte Iris ihre Freundin bloss nicht angestellt und ihr erst noch die kleine Wohnung unter unserem Dach vermietet! Die Frauen teilten sich sogar die Hausarbeit, kochten das Nachtessen gemeinsam. Jeden Abend sass ich mit meiner nichts ahnenden Frau und meiner Geliebten am selben Tisch.
Manchmal war ich mir selber zuwider.
Langsam schlenderte ich am Glashaus vorbei zum Haus hinüber, wo Karin bereits mit meiner Frau am Tisch auf der Terrasse sass, ihr heuchlerisch übers Haar strich und ihr vermutlich einen Witz erzählte, denn nun krümmten sich beide vor Lachen. Als ich ins Blickfeld der Frauen geriet, begann ich zu joggen, um meiner Frau weiszumachen, ich hätte nichts anderes getan als jeden Abend.

 In den folgenden Wochen herrschte brütende Hitze. Wie jeden Morgen traf sich die ganze zwölfköpfige Belegschaft um halb zehn unter dem grossen Sonnendach vor dem Blumenladen zum kreislauffreundlichen lauwarmen Tee und einem kleinen Imbiss.
Meine Frau liess ihren Blick über die von ihr liebevoll gehegten zehn Engelstrompetenstöcke wandern, die den Parkplatz vor dem Blumenladen säumten und saget stolz: »Welch eine Pracht! So viele Trompeten haben noch nie auf ein Mal geblüht.«
»Kein Wunder bei der Pflege! Eine volle Stunde waren Sie ohne Kopfbedeckung an der prallen Sonne, obwohl Sie wissen, wie gefährlich das für Ihr Herz ist, Padrona«, rief die Lehrtochter.
Ich rügte meine Frau, bat sie, fortan vernünftiger zu sein. Karin warf mir einen Blick und ein zynisches Lächeln zu. Sie sagte nichts, aber ihr Gesichtsausdruck widerspiegelte ihre Gedanken. Es wäre schrecklich, wenn Iris sterben würde, fuhr mir durch den Kopf. Stellte mir lieber vor, wie schön es zu dritt im Ehebett sein könnte …

Wie durch Watte hörte ich die Angestellten über die Engelstrompeten flachsen, in denen das Gift schlummerte, das in Indien oft als Mord- oder Selbstmordmittel benutzt wurde.
»Habe mal mit meiner Freundin so einen Tee getrunken«, sagte Herbert. »Wirkte sehr anregend, muss ich sagen«, grinste er anzüglich.
»Meine Nachbarin schnetzelte einmal ein Blütenblatt in den Salat«, rief Sybille, »sie war den ganzen Tag so richtig aufgedreht und guter Stimmung.«
»Hört doch auf, so dummes Zeug zu labern«, sagte ich verärgert, »das Gift ist gefährlich, das weiss jedes Kind. Zweieinhalb Blüten reichen schon für eine gefährliche Vergiftung!«
»Eben«, warf Karin ein, »es kommt wie bei allen Rauschmitteln auf die Dosierung an, ist doch klar!«
»Wenn es anregend wirkt, sollte ich das auch mal probieren«, lachte Iris, erhob sich und scheuchte alle auf. »Schluss jetzt, die Arbeit ruft!«

 Iris litt von Tag zu Tag mehr unter der mörderischen Hitze. Am Freitagabend plagte sie ein trockener Husten und schier unstillbarer Durst. Trotzdem umspielte ihre Lippen ein leichtes Lächeln, als sie murmelte, sie sehe und höre Engel singen.
Karin half mir, Iris zu Bett zu bringen, kühlte ihre Stirn, meinte, die Halluzinationen würden von selbst verschwinden, sie brauche einfach Ruhe. Leise gingen wir aus dem Zimmer.
In der Küche liebten wir uns kurz und heftig.
»Hast du Iris etwas in den Salat gemischt?«, fragte ich keuchend.
»Und wenn?«, gurrte Karin und riss mich noch heftiger an sich.
»Heute ist der dritte Tag. Jedes Mal ein wenig mehr. Kein Mensch wird sich wundern, wenn ihr Herz plötzlich zu schlagen aufhört«, sagte sie, warf den Kopf nach hinten und stöhnte lustvoll.
In ihren schönen dunklen Augen lag ein teuflisches Glitzern, das mir Angst einflösste. Abrupt liess ich von ihr ab.
»Hör  sofort auf damit, Karin! Ich liebe Iris!«
»Mach dir doch nichts vor, Hannes. Du hast mir doch gerade bewiesen, wie sehr du mich brauchst und liebst!«
Als ich schwieg, sagte sie lachend: »Das war ein Witz, ich bin doch keine Mörderin! Iris ist meine beste Freundin, der ich nie ein Haar krümmen würde, und dich leihe ich mir hin und wieder aus.«

In dieser Nacht bescherte mir mein schlechtes Gewissen einen unruhigen Schlaf. Ich schämte mich und nahm mir vor, die Affäre mit Karin zu beenden. Iris hatte sich vertrauensvoll an mich gekuschelt und atmete ruhig. Ich nahm an, dass ein leichter Sonnenstich für ihr Unwohlsein am Abend verantwortlich gewesen war.
Auf einmal rüttelte Wind an den Fensterläden, Blitz und Donner folgten, und dann regnete es heftig. Die Luft kühlte merklich ab.
Am Morgen fühlte Iris sich frisch und voller Tatendrang. 

Die Sonne hatte die Wolken verdrängt, doch die Temperatur war angenehm. Samstags hatten wir immer viel zu tun, aber heute standen die Kunden Schlange. Den ganzen Tag herrschte Hektik pur. Völlig erledigt standen wir zu dritt um zwanzig Uhr in der Küche und richteten ein einfaches Abendessen. Während ich den Tisch deckte, bereitete Iris eine kalte Platte zu, und Karin machte Selleriesalat. Für Iris legte sie einen Ring Ananas darauf, weil sie diese Kombination so gerne mochte.
Nach dem Essen stellte sich bei uns allen eine träge Müdigkeit ein. Karin fächelte sich mit einer Zeitung Kühlung zu, hing wie ein nasser Sack in ihrem Stuhl und starrte mit leerem Blick in die Ferne. Auch ich streckte die Beine aus und liess die Arme baumeln.
Iris hustete, schlürfte ein Schlückchen gespritzten Weißwein und murmelte bedauernd: »Die Engelstrompetenstöcke haben sehr gelitten, sie sehen ganz zerzaust aus.«
Karin grinste versonnen und sagte: »Du siehst auch ganz zerzaust aus, Iris.« Auch sie hustete, trank ihr Glas leer, schenkte nach und schüttete die Flüssigkeit gierig in sich hinein.
»Gereizte Schleimhäute sind ekelhaft, gell«, sagte Iris. »Wenn die Speichelproduktion nachlässt, kommt das Gefühl auf, anstatt der Zunge einen dicken Filz im Mund zu haben. Der Durst ist nicht zu stillen, und wenn es ganz schlimm kommt, stellen sich Herzrhythmusstörungen ein, die Panikattacken hervorrufen.«
Erschrocken schaute ich meine Frau, dann Karin an.
»Karin, ich weiss schon lange, dass du mir Hannes wegnehmen willst. Du hast Sex bekommen. Nur Sex«, murmelte Iris. »Du bist eine ganz schäbige Person und keine Freundin. Ich habe dich bei den Engelstrompeten gesehen. Heute Morgen wurde mir klar, weshalb mir seit Tagen so eigenartig zu Mute ist. Und deshalb liess ich dich heute Abend beim Zubereiten vom Selleriesalat nicht aus den Augen. Du brachtest ein Tütchen ganz fein gehackte Zutaten mit, die du in meinen Salat gemischt hast.« Sie beugte sich vor,  sagte leise: »Ich habe die Ananas auf einen anderen Salat gelegt und dir meinen gegeben. Es wird sich jetzt herausstellen, ob du mich umbringen wolltest.«
Ein ungläubiges Staunen breitete sich auf Karins Gesicht aus. Sie griff sich ans Herz, rang nach Atem. Ganz plötzlich kippte sie vornüber, fiel zu Boden. Mit glasigen Augen blieb sie liegen.

 
 

 

Ende

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