Eine geniale Idee

Copyright Roswitha Wegmann, Autorin
 

Die Schönheitsfarm Spöndlin war in einer traumhaften Gegend wie ein eigenständiges Dorf angesiedelt. Der schneeweiße Prunkbau leuchtete märchenhaft inmitten gepflegter Rasenflächen, spiegelte sich im ruhigen, klaren Wasser des Sees.
Mit einer unmutigen Geste wischte Gerhard Spöndlin eine Träne aus dem Augenwinkel, ließ seinen Blick über die sich wohlig in den Liegestühlen räkelnden Geschöpfe schweifen, denen in seiner Klinik zu neuer Jugend verholfen wurde. Bis vor einem Jahr war auch er es gewesen, der die verräterischen Falten aus den Gesichtern der eitlen Ladies verbannte. Aus und vorbei. Seine Finger waren nicht mehr gelenkig genug, um das Skalpell zu führen. Er litt unter Arthritis.
Gerhards Frau war eine Koryphäe in der plastischen Chirurgie gewesen. Sie kümmerte sich vor allem um verstümmelte Unfallopfer, modellierte weggerissene Ohren und Nasen nach. Vor zwei Jahren klappte sie am Operationstisch zusammen. Jede Hilfe kam zu spät. Ihr Herz hatte aufgehört zu schlagen. Wäre sie noch bei ihm, sähe die Zukunft für ihn rosiger aus. Mit ihr zusammen wäre es ein Vergnügen gewesen, in den Ruhestand zu treten.

 Leider war Tochter Franziska nicht in die Fußstapfen der Eltern getreten. Schon als Kind malte sie leidenschaftlich und nichts konnte sie davon abbringen, Kunst zu studieren. Sie war achtzehn, als sie bei der renommierten Sandra Höhn ausstellte und die Besucher sich an der Vernissage um Franziskas fantastische Bilder rissen. Seither klebte sie wie eine Klette an der um zehn Jahre älteren Sandra. Zog bei ihr ein. Brachte ihr Studium mit Auszeichnung hinter sich. Die eigenwillige Tochter ließ sich weder von ihm noch von der Mutter Vorschriften machen, argumentierte, die Eltern hätten ja sowieso nie Zeit für sie gehabt, dann müssten sie sich jetzt auch nicht einmischen.
Sie hatte Recht, gestand Gerhard sich ein. Ohne Kindermädchen und Haushälterin wären er und seine Frau aufgeschmissen gewesen. Sie sahen ihr Kind manchmal zwei, drei Tage nicht, weil es in der Klinik so viel zu tun gab. Als Franziska im Internat war, verbrachten sie regelmäßig vier Wochen gemeinsame Sommerferien, mehr lag einfach nicht drin.  

Die inzwischen sechsundzwanzigjährige Franziska führte mit Sandra Höhn zusammen schon seit fünf Jahren die Galerie mit dem sinnigen Namen ›SaFran‹. Das Geschäft lief großartig und die beiden waren ein vortreffliches Team. Als Mutter starb, war es Sandra gewesen, die Franziska beistand. Nicht er, der Vater, der sie hätte in den Arm nehmen müssen, aber keine Zeit für Herzschmerz hatte.

 Zum Glück war da der junge, dynamische und unverschämt gut aussehende Dr. Tobias Berger, der sich unter Spöndlins Führung zu einem begnadeten Chirurg entwickelt hatte. Er wäre ein würdiger Nachfolger, doch dann käme das Lebenswerk der Spöndlins in fremde Hände. Es sei denn, Tobias würde Franziska heiraten. Dieser hoffnungsvolle Gedanke geisterte seit Jahren in Gerhard Spöndlins Gedanken herum.
Die beiden waren befreundet, gingen oft zusammen aus, doch immer war der Störfaktor Sandra Höhn als fünftes Rad am Wagen dabei. So empfand der besorgte Vater. Mit Engelszungen beschwor er seine Tochter, die Beziehung zu Tobias mit einer Heirat zu krönen. Vor einem Jahr gab sie seinem Drängen halbwegs nach und verlobte sich mit dem Chirurgen.
Gerhard legte Tobias nahe, endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Sobald die Ehe geschlossen war, wollte er seinem Schwiegersohn die Schönheitsfarm überschreiben und sich ganz aus dem Geschäft zurückziehen.

 Noch so gerne hätte Tobias den Wunsch seines Chefs erfüllt, war es doch auch sein eigener. Aber Franziska war nicht bereit, den entscheidenden Schritt zu tun. Sie hatte keine Lust, den Verpflichtungen einer Arztfrau nachzukommen, ihre Malerei und die Galerie deswegen zu vernachlässigen. Und sie wollte Sandra nicht im Stich lassen, hatte sie ihr doch viel zu verdanken. Tobias konnte es drehen und wenden wie er wollte, blieb er auch noch so bescheiden in seinen Ansprüchen, für Franziska würde die Ehe mit ihm gravierende Veränderungen in ihrem Leben nach sich ziehen.

Missmutig schüttelte  er die kreisenden Gedanken ab und konzentrierte sich auf die Behandlung einer Patientin. Verkehrsunfall. Ein Rowdy, alkoholisiert und bekifft, hatte sie auf dem Fußgängerstreifen über den Haufen gefahren. Glück im Unglück, dass es ein junger Schnösel aus reichem Elternhaus war. Zur  Wiedergutmachung wurde die teure Behandlung der Gesichtsverletzungen auf der Schönheitsfarm vom Vater des Schuldigen bezahlt.
Versonnen betrachtete der Arzt die Frau. Die Nase war gebrochen. Eine Augenbraue musste gerettet werden. Die Schnitt- und Schürfwunden waren nicht so schlimm, wie sie aussahen.
Lächelnd beugte Berger sich zu Judith Klötzli vor, sprach beruhigend auf sie ein. Bezaubert von seinem klaren Blick, der sanften Ausstrahlung seines Wesens, schüttete sie ihm ihr Herz aus. Geduldig hörte er zu.
Sie hatte die Schauspielschule absolviert. Fand danach kein befriedigendes Engagement und tingelte mit einer kleinen Truppe ein paar Monate durch die Lande. Bis es Krach gab, weil jeder dachte, er allein hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen. Eine Weile hielt sie sich mit Werbefilmen über Wasser, dann versiegte auch diese Quelle und sie landete auf der Gasse. Judith hatte die Schnauze voll. Im Heim aufgewachsen. Keine Angehörigen. Alleine und verlassen in dieser garstigen Welt!
In Bergers Kopf begannen die Gedanken eine Idee zu spinnen, die er sogleich in Worte fasste. Über Judiths verunstaltetes Gesicht huschte ein hoffnungsvolles Lächeln. Noch so gerne wollte sie in eine Rolle schlüpfen, welche ihr Leben in geordnete Bahnen lenkte. Zu verlieren hatte sie nichts bei dem Deal, den Tobias ihr vorschlug. Sie konnte nur gewinnen. 
Es wird alles gut, sagte er und strich gedankenverloren über ihre bunte Mähne.  

 Am Abend kreuzte Tobias bei Sandra und Franziska in der Galerie »SaFran« auf. Er erzählte von seiner jungen Patientin, die dringend ein Zuhause brauchte. Wie so nebenbei ließ er seine Gedanken, die ihn den ganzen Tag beschäftigt hatten, in das ungezwungene Gespräch einfließen. Verblüfft horchten die Frauen auf. Ihr Interesse war geweckt.
Als Tobias sich eine Stunde später auf den Heimweg machte, war alles besprochen, was es im Moment zu besprechen gab. Die Frauen wollten Judith aufnehmen.


Fortsetzung –––>>>>