Unser Picknick wird auch ohne Champagner ein voller Erfolg. Genüsslich spachteln wir die Leckereien, stopfen uns voll, bis wir schier platzen. Die Hälfte hätte es auch getan, aber das sagte ich schon im Laden. Schläfrig lehnen wir am dicken Baumstamm, schauen dem Treiben um uns herum zu.
Ein Ball kullert über unsere Decke, ein Kind springt hinterher. Gerade noch rechtzeitig ziehe ich die Beine an. Der Lärmpegel ist sehr hoch, doch ich höre alles wie durch Watte. Viele Mütter sind damit beschäftigt, ihre Rangen zu füttern, einzucrèmen oder zur Ordnung zu rufen. Männer machen bei Ballspielen mit oder lesen Zeitung. Eine Weile halten fast alle Siesta, und es ist ziemlich still.
Auf der Yacht tummeln sich auch ein paar Sonnenhungrige. Die Menschen dort draußen sind nur schemenhaft zu erkennen. Am Nachmittag ergattern wir für eine halbe Stunde den Pingpongtisch, der hier zur festen Einrichtung gehört. Natürlich bin ich chancenlos gegen Marlene. Nur im Leben bin ich nicht gerne der Verlierer, hier macht es mir nichts aus. Meine Tochter auf Zeit ist selig. Sie rühmt meine Sportlichkeit und ich fühle mich geschmeichelt, obwohl ich weiß, dass sie übertreibt.
Schon verschwindet die Sonne hinter dem Berg am Ende des Sees. Wir packen zusammen und fahren zum Hotel zurück. Ein leichtes Abendessen beendet unsere Zweisamkeit, rundet den schönen Tag ab, den wir beide in vollen Zügen genossen haben.

In dieser Nacht träume ich nicht. Am Montag überlege ich ernsthaft, ob ich meine Zelte abbrechen und nach Hause fahren soll. Der Moment wäre günstig. Ich bin in einer versöhnlichen Stimmung.
Was soll die ganze hirnverbrannte Racheaktion?
Ich bin gesund, es geht mit gut, es ist nichts passiert.
Planlos wandere ich durch die Stadt, bin schließlich am See, gehe durch den Park. Beim Baum, wo ich mit Marlene unvergessliche Stunden verbrachte, verweile ich ein paar Minuten. Dann tragen mich meine Füße weiter, ich achte nicht darauf wohin. Tief in mir hockt der Hass noch immer, sonst wäre ich nicht da gelandet, wo ich jetzt bin. Mit einem bitteren Gefühl im Mund schaue ich das Haus an, das ich gar nicht mehr sehen wollte.
Nur noch ein Mal einen Blick auf sie werfen, dann gehen, mich abwenden von meiner Frau, die mich verlassen hat. Sie hat die Scheidung noch nicht eingereicht.
Gärtner sind am Jäten und Pflegen des Grundstücks. Im Haus bemerke ich eine frauliche Silhouette. Das kann nicht meine Frau sein, sie bewegt sich anders. Plötzlich halte ich einen Feldstecher in meinen Händen. Heute Morgen hatte ich noch keinen, denke ich befremdet. Wo habe ich den nur her? Ich erinnere mich nicht daran, einen Feldstecher gekauft zu haben. Wie elektrisiert starre ich durch die Gläser. Seit wann tue ich Dinge, von denen ich keine Ahnung habe? Bahnt sich eine Katastrophe an, der ich machtlos ausgeliefert bin? Meine lädierte Psyche spielt mir einen Streich, dem ich Einhalt gebieten muss. Entnervt umrunde ich das Anwesen. Die Garagentore sind offen; kein Auto da. Es ist niemand zu Hause, der mich interessieren könnte. Verärgert lenke ich meine Schritte wieder der Stadt zu.

An der Rezeption frage ich nach Geschenkpapier. Ich werde diesen verfluchten Feldstecher Marlene schenken. Der Mann verspricht mir, bis zum Abend ein schönes Päcklein zu machen, und ich gehe hinauf in mein Zimmer. Lange stehe ich unter der Dusche, versuche alles Böse von mir zu spülen. Ich bin ein guter Mensch, ich bringe niemanden um, nicht einmal meine Frau, rede ich halblaut vor mich hin und drehe auf heiß, dann auf kalt. Krebsrot verlasse ich das Bad, tupfe meine Haut ganz vorsichtig ab. Ich habe mich fast verbrüht, ich Hornochse! Ich weiß mir keinen anderen Rat, als die Masseuse zu rufen. Mit geübter Hand streicht sie mir eine kühlende Salbe auf meine gar gekochten Stellen und spart nicht an anzüglichen Bemerkungen.
Sie hat ganz Recht. Wie konnte ich mir das antun. Genützt hat es nichts. Meine Gedanken kreisen immer noch wie ein Aasgeier über der fetten Beute. Der Anruf kommt wie eine Erlösung, bringt mich dazu, mich auf Wesentliches zu konzentrieren. Marlene muss mein Schutzengel sein. Sie hat den Narren an mir gefressen, diese kleine Person. Wenn die wüsste, auf wen sie sich einlässt! Ich bin ein potenzieller Mörder!
Weg mit den höllischen Gedanken!


Bevor ich aus dem Hotel gehe, hole ich das Paket ab. Schön hat er es gemacht! Sogleich fühle ich mich etwas besser. Mit festem Schritt gehe ich zu unserem Treffpunkt. Natürlich ist Marlene schon da, schaut mit Argusaugen nach mir aus. Schon hat sie mich entdeckt, steht auf, wedelt mit beiden Armen, damit ich sie auch ja sofort sehe. Sie hat ein Tischchen auf der Promenade für uns belegt, denn es ist warm genug, abends draußen zu essen.
Sie überschlägt sich fast vor Freude, als ich ihr das Geschenk in die Hände drücke. Mir ist gar nicht wohl dabei, doch ihr glückliches Gesicht wischt mein schlechtes Gewissen weg. Vielleicht reagierte mein Unterbewusstsein gar nicht so abwegig. Von selbst wäre ich nicht auf die Idee gekommen, Marlene etwas zu kaufen.
Sie packt das Präsent mit fliegenden Fingern aus, glotzt mit offenem Mund auf den Feldstecher und brüllt, dass sich die Passanten und die übrigen Gäste nach uns umdrehen: »Wow! Wie zum Kuckuck konntest du das ahnen?! Schon so lange habe ich mir ein solches Ding gewünscht, und niemand hatte Gehör dafür!«
Mein Grinsen fällt ziemlich überheblich aus und ich tue, als ob es die selbstverständlichste Sache der Welt wäre, dass ich ihren geheimen Wunsch getroffen hatte.
Marlene teilt mir mit, dass die umstrittene Flasche Champagner wieder in guter Gesellschaft mit den anderen stehe und kein Mensch die Lücke bemerkt habe, die für kurze Zeit entstanden war. Sprudelnd erzählt sie mir vom Computerkurs, bei dem sie mit einem blendenden Ergebnis abzuschneiden hofft. Alles läuft wie geschmiert, sie hat den Plausch, fiebert schon der Zeit entgegen, da sie ihrer Zwillingsschwester das Gelernte beibringen kann.
»Warum seid ihr nicht zusammen gegangen?«, will ich jetzt endlich wissen, denn diese Frage lag mir schon lange auf der Zunge.
»Ach, du weißt ja nicht, wie teuer das kommt, alles immer doppelt! Unsere Eltern sind nicht so betucht, und deshalb haben wir den Kurs unter uns ausgelost. Ich habe gewonnen. Kannst du schweigen?«
»Wenn’s sein muss, wie ein Grab. Warum denn?«
»Ich habe geschummelt.«
Typisch Marlene. Und trotzdem ist sie eine ehrliche Haut.


Noch fit und neugierig genug für den Endspurt?
Letzter Abschnitt ––––>>>>