Als sich unsere Wege trennen, bedauere ich, dass die Fahrt nicht länger gedauert hat. Unschlüssig trödle ich in der Bahnhofshalle umher. Mein Plan kommt mir auf einmal absurd vor. Die junge Marlene hat mich ins Wanken gebracht.
Außerdem scheint es mir jetzt gar nicht mehr so einfach, meine Frau, sie ist es immer noch, zum Beispiel zum See zu locken und sie dort wie eine junge Katze zu ertränken; oder ihr in der Stadt aufzulauern und sie unter einen herandonnernden Laster zu stoßen. Eine Schusswaffe habe ich nicht und mit einem Messer kann ich nicht umgehen. Die Hände um ihren schlanken Hals legen und zudrücken, dazu fehlt mir der Mut. Vergiften liegt auch nicht drin. Ich kenne mich nicht aus mit diesen Mitteln. Und wenn schon, woher nehmen und nicht stehlen?! Ein Hanswurst bin ich, viel zu ehrlich und rechtschaffen. Dass mein Hirn überhaupt in der Lage ist, solch mörderische Gedanken zu entwickeln ist auch neu für mich. Bis vor einem halben Jahr war ich noch ein ganz gewöhnlicher Füdlibürger, und es war mir wohl dabei. Aber jetzt sinne ich auf Rache, bin ganz besessen davon. Die Schmach, die sie mir angetan hat, muss gesühnt werden!

Ich bin ein Feigling. Das ist auch neu für mich. Langsam lerne ich mich kennen. Die Grenzen zwischen gut und böse verwischen sich. Ein Quäntchen zieht die Waage jedoch trotz meiner Verbitterung auf die gute Seite, sagt mir, dass ich gar kein Recht habe, über meine untreue Frau zu urteilen und sie zu strafen, wie auch immer. Aber da ist ein Teufelchen, das andere Töne spuckt. Soll ich mich dagegen wehren, oder soll ich der dunklen Macht nachgeben?
Meine Füße tragen mich schließlich zum Hotel, wo ich ein Zimmer reserviert habe. Ich lege mich hin, überdenke die Angelegenheit gewissenhaft. Die Rachegefühle nehmen wieder zu. Auf irgendeine Art muss ich sie über den Jordan befördern, sonst finde ich keine Ruhe.
Erschlagen kann ich sie auch nicht, das ist zu brutal.
Überhaupt bin ich nicht zum Mörder geboren; wer ist das schon. Verzeihen kann ich ihr aber nicht, das ist einfach zuviel verlangt!

Nach einer Woche des Zauderns rufe ich sie an. Zum Glück nimmt nicht der Krösus ab. Aber als ich ihre Stimme höre, so sinnlich und erotisch, da bringe ich kein Wort heraus. »Blöder Affe!«, höre ich, dann ist die Leitung tot. Richtig armselig komme ich mir vor. Schließlich wage ich es, ihre Adresse aufzusuchen. Nur `mal sehen, wo und wie sie wohnt.
Eine imposante Villa mit viel Umschwung steht im abendlichen Schein der untergehenden Sonne. Mit äußerster Vorsicht schleiche ich um das Grundstück, ducke mich hinter Hecken und Büschen. Auf einmal höre ich Gelächter, dann sehe ich sie aus dem Haus kommen. Einen Moment lang verharrt sie mit geröteten Wangen auf der Terrasse unter dem Vordach. Jetzt erscheint ein junger Mann, etwa fünfundzwanzig mag er sein. Er grabscht nach ihr, sie rennt gackernd davon, lässt sich aber bald einfangen. Die beiden knutschen wie verliebte Teenager, dabei könnte er ihr Sohn sein. Das darf doch wohl nicht wahr sein! Für diesen Bubi hat sie mich verlassen!
Ich ducke mich tiefer hinter den Strauch, denn ein Auto ist vorgefahren. Die beiden schlecken sich weiter ab, richtig widerlich. Doch halt! Jetzt fahren sie auseinander, streichen eilig ihre Kleider glatt. Im nächsten Augenblick tritt ein Mann meines Alters aus dem Haus. Der junge Kerl ist unverkennbar sein Sohn, das sehe ich sofort. Er winkt den beiden zu, und sie trippelt zu ihm hin, umarmt und küsst ihn leidenschaftlich.
Dieses Luder! Sie treibt es hinter seinem Rücken mit seinem Sohn!
Geschieht ihm ganz recht, warum soll es ihm besser gehen als mir.
Er ist genauso blind, wie ich es war, denke ich befriedigt.
Noch lange kauere ich unter dem Busch, bis ich den Krampf bekomme. Es fällt mir schwer, mich aufzurichten. Ärgerlich knurre ich vor mich hin, bis sich der Krampf löst. Gebückt husche ich auf die Strasse, strecke meinen Körper ächzend. Ich nehme kein Taxi, sondern gehe den ziemlich weiten Weg zum Hotel zu Fuß. In aller Besinnlichkeit lasse ich mir die Geschichte durch den Kopf gehen. Neue Aspekte tun sich auf. Ich könnte dem Herrn etwas flüstern über seinen Sohn und meine Frau. Vielleicht nimmt er mir dann die Tat ab; oder er wirft sie hinaus, und sie kommt ›reumütig‹ zu mir zurück ...
Die würde sich wundern! Ich bin nicht mehr so blauäugig. Die soll nur kommen, dann mache ich ihr die Hölle heiß!
Ach was. Ich mache mir doch nur etwas vor. Wenn sie tatsächlich angekrochen käme, wäre ich vermutlich bald wieder derselbe Dackel wie zuvor.
So gut glaube ich mich inzwischen zu kennen.
Nein! Ich lasse es nicht darauf ankommen, auf keinen Fall. Nie wieder wickelt sie mich ein, macht mich zur Marionette.

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Fortsetzung –––>>>>